Wirtschaft
Stahlproduzenten müssen auf eine neue, großflächig einsetzbare und vor allem klimaneutrale Technologie umstellen - Foto: 132369/Pixabay
05.05.2020

Neue Studie zur Klimawende in der Stahlindustrie

Europäische Stahlindustrie muss für CO2-Reduktion über 100 Mrd. € investieren

Die europäische Stahlindustrie ist unter Zugzwang: Im Augenblick ist das stahlproduzierende Gewerbe mit 22 % der größte industrielle CO2-Emittent in Europa. Gleichzeitig hat die Europäische Union zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Mit den derzeit angewandten Methoden zur Herstellung von Roheisen und Stahl, wird dieses Ziel verfehlt werden. Deshalb müssen die Unternehmen ihre Produktion auf eine neue, großflächig einsetzbare und vor allem klimaneutrale Technologie umstellen. Ein weiteres Problem: Die Zeit drängt. Denn es bleiben nur noch fünf bis zehn Jahre, um die technologische Neuausrichtung einzuleiten, die dann in 30 Jahren vollendet sein soll. Die neue Studie von Roland Berger "The future of steelmaking – How the European steel industry can achieve carbon neutrality" bewertet mögliche Technologien und zeigt auf, wie eine Transformation gelingen kann.

"Wenn die europäische Stahlindustrie die Klimaziele der EU erreichen soll, muss kräftig investiert werden. Wir rechnen mit rd. 100 Mrd. €, um allein die Rohstahlproduktion aus Eisenerz auf Klimaneutralität umzustellen", sagt Akio Ito, Partner von Roland Berger. Allerdings könnte selbst diese Summe zu niedrig angesetzt sein, da die weltweite Rohstahlproduktion wächst, bis 2050 mit einem Plus zwischen 30 bis 50 %. "Wenn die Unternehmen die Investitionen alleine tragen müssen, werden sie den Stahl auf einem eh schon stark umkämpften Markt nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten können, sofern sie die Transformation überhaupt finanzieren können", warnt Akio Ito.

Wasserstoffbasierte Verfahren technologisch weit fortgeschritten

Für die Stahlindustrie ist die Frage nach der richtigen technologischen Lösung für eine umfassende CO2-Reduktion noch nicht abschließend beantwortet. So könnte der CO2-Ausstoß durch eine Kombination von CO2-Speicherung und teilweisem Einsatz von Biomasse im Hochofen zwar reduziert, allerdings nicht auf null gesenkt werden. Andere Optionen wie die Plasma-Direktstahlerzeugung oder die elektrolytische Reduktionsverfahren befinden sich in einem sehr frühen Entwicklungsstand. Das bringt große Unsicherheiten für einen industriellen Einsatz mit sich. "Wir haben verschiedene Verfahren auf ihre technologische Verfügbarkeit, Realisierbarkeit in Großanlagen sowie die wirtschaftliche Tragfähigkeit hin untersucht", sagt Bernhard Langefeld, Partner von Roland Berger. "Wasserstoffbasierte Direktreduktion ist unserer Ansicht nach am weitesten entwickelt und – sobald es denn genügend grüne Energie gibt – für das Klima am sinnvollsten."

Allerdings sind wasserstoffbasierte Reduktionsverfahren zur Stahlerzeugung nicht von heute auf morgen einsetzbar. So benötigt die Wasserstofferzeugung sehr große Mengen an Energie. "Der Gesamtenergiebedarf für eine klimaneutrale Stahlproduktion beläuft sich auf ca. 120 TWh pro Jahr", sagt Bernhard Langefeld. Zum Vergleich: Momentan ist die weltweit größte Anlage zur Wasserstoff-Elektrolyse in Hamburg geplant. Sie kann bei einer optimalen Laufleistung nicht ganz 1 TWh pro Jahr erzeugen.

Politische Unterstützung notwendig

Den Aufbau dieser Kapazitäten an Wasserstoffelektrolyse aus erneuerbaren Energien sowie entsprechender Direktreduktionsöfen kann die Stahlindustrie nicht umsetzen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Endprodukte zu riskieren. Dabei ist der Anteil der europäischen Stahlproduktion am Weltmarkt bereits in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken. "Ohne eine politische Unterstützung ist es sehr wahrscheinlich, dass große Teile der Wertschöpfungskette aus Europa in Länder mit billiger Energie und weniger Regulierung verlagert werden" warnt Akio Ito. Neben den zu befürchtenden negativen Konsequenzen für die europäische Stahlindustrie würde das bedeuten, dass die weltweite Stahlproduktion weiterhin sehr CO2-intensiv und damit klimaschädlich bliebe.

Die EU sollte also selbst aktiv werden und u.a. sicherstellen, dass importierter Stahl und importierte Stahlprodukte in Zukunft die gleichen regulatorischen Anforderungen erfüllen wie inländische Produkte oder entsprechend besteuert werden. Außerdem müssen klare Rahmenbedingungen vereinbart werden, die die notwendigen Investitionen langfristig absichern. "Die EU oder die einzelnen Regierungen sollten zusätzlich notwendige Steuererleichterungen, Subventionen und Finanzierungen anbieten, um den Stahlproduzenten den Umstieg zu ermöglichen. Die finanziellen Folgen von Covid-19 können die Stahlunternehmen auf Jahre belasten, daher wären Konjunkturpakete für Grünen Stahl sinnvoll", rät Akio Ito.

Roland Berger

Schlagworte

CO2KlimaschutzStahlerzeugung

Verwandte Artikel

Bildunterschrift: Emissionsreduzierter Stahl, oft auch als „grüner Stahl” bezeichnet, trägt maßgeblich zur weiteren Verbesserung der Umweltbilanz von Windenergieanlagen bei. Das Bild zeigt das Beispiel eines Hybrid-Stahl-Turms einer ENERCON-Windenergieanlage.
29.01.2025

Ilsenburger Grobblech liefert Stahl für Onshore-Windkraft

Vorgesehen ist der CO₂-reduzierte Stahl für den Bau eines Stahlturms für eine Onshore-Windkraftanlage. Daran beteiligt sind außerdem ENERCON, ein Hersteller von Windenerg...

Anlagen Blech Bleche Bramme CO2 Deutschland Elektrolichtbogenofen Emissionen Energie Essen EU Forschung Gesellschaft Grobblech Hybrid Ilsenburger Grobblech GmbH ING KI Klima Klimaschutz Kooperation Lichtbogenofen Maschinenbau Messe Nachhaltigkeit Niedersachsen Produktion Produktionsprozess Sachsen Salzgitter Salzgitter AG Schrott Stahl Stahlblech Stahlproduktion Strategie TEMA Transformation Transport Umwelt Unternehmen USA Vertrieb Wasserstoff Windpark Wirtschaft Zusammenarbeit
Mehr erfahren
Großes Interesse am Milliardenauftrag für Saarstahl Rail, v.l.n.r. Matthieu Chabanel, Président Directeur Général von SNCF Réseau, Stefan Rauber, Vorstandsvorsitzender von Saarstahl, Dr. Nadine Artelt, Présidente von Saarstahl Rail und Saarstahl Ascoval sowie Philippe Tabarot, französischer Verkehrsminister und Agnès Pannier-Runacher, Ministerin für die ökologische Transformation
28.01.2025

Saarstahl Rail schließt Liefervertrag mit SNCF Réseau

Saarstahl Rail, eine Tochter der Saarstahl AG mit Sitz im französischen Hayange, und das französische Unternehmen SNCF Réseau haben einen Großauftrag über die Lieferung v...

Award Berlin CO2 Dekarbonisierung Deutschland DSV Einsparung Elektrolichtbogenofen Emissionen EU Hochofen ING Innovation Investition Lichtbogenofen Lieferung Nachhaltigkeit Partnerschaft Politik Produktion Saarstahl AG Schienen Stahl Strategie Umwelt Unternehmen Walzwerk Wirtschaft
Mehr erfahren
Von links nach rechts: Liu Ding; Wang Zaiying; Li Renlong; Paul Tockert; Peter Langner; Jochen Burg; Tan Chengxu; Zhang Hongjun; Tian Yong, Gu Yan; Wen Miao).
27.01.2025

SMS und Ansteel unterzeichnen Absichtserklärung

Ziel dieser Absichtserklärung ist die Förderung von Technologien für grünen Stahl und Initiativen zur Dekarbonisierung. Beide Unternehmen bekräftigten ihr Engagement für...

China CO2 Dekarbonisierung Emissionen Entwicklung EU Förderung Forschung Industrie Klima Kooperation Produktion Service SMS group Stahl Stahlherstellung Stahlindustrie Stahlunternehmen Umwelt Unternehmen USA Zusammenarbeit
Mehr erfahren
Helena Norrman
23.01.2025

Helena Norrman wird Leiterin der Kommunikation bei SSAB

Sie wird die Position am 16. April antreten und in ihrer neuen Funktion wichtige Aufgaben für die weitere Entwicklung des Unternehmens übernehmen.

Entwicklung EU ING Klima Schweden SSAB Stahl Stahlerzeugung Unternehmen
Mehr erfahren
Das neue Spooler-Walzwerk in Riesa im Bau - Stand: 2024
21.01.2025

Feralpi Stahl reduziert kontinuierlich CO₂-Emissionen

Die Emissionswerte wurden in der Umwelterklärung veröffentlicht und gelten für das Stahl- und Walzwerk in Riesa. 2021 lag der Ausstoß bei 88 kg CO₂ kg pro Fertigprodukt....

Deutschland Einsparung Emissionen Energie Energieeffizienz Energiewende Ergebnis ESF Elbe-Stahlwerke Feralpi GmbH EU Industrie ING Investition KI Klima Klimaschutz Kreislaufwirtschaft Luftreinhaltung Materialeffizienz Messung Neubau Produktion Recycling Rohstoffe Schlacke Schmelze Schmelzen Schrott Schrottaufbereitung Stahl Stahlerzeugung Stahlindustrie Stahlwerk Temperatur Umschlag Umwelt Umweltschutz Unternehmen Walzen Walzwerk Werkstoff Wirtschaft Zahlen
Mehr erfahren