Forschung
Photo: pixabay
18.10.2022

Entdeckung neuer Werkstoffe mit Hilfe von maschinellem Lernen

Wie lassen sich neue Werkstoffe mit verbesserten Eigenschaften entwickeln? Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung stellt ein universelles Framework für aktives maschinelles Lernen vor, dass mit Hilfe künstlicher Intelligenz neue Legierungen entdeckt.

Neue Werkstoffe ebnen den Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Die Suche nach und das Design neuer Werkstoffe, die die Anforderungen von High-Tech Anwendungen erfüllen, ist allerdings zeit- und kostenintensiv. Um die benötigten Materialeigenschaften zu erzielen, wenden Wissenschaftler*innen oft ein relativ neues Legierungsdesign ein bei dem sie unterschiedliche Elemente in fast gleichen Mengenanteilen vermischen. Die daraus entstehenden, sogenannten Hochentropie-Legierungen, vereinen oft sehr gegensätzliche Eigenschaften, wie zum Beispiel eine hohe Festigkeit bei gleichzeitig hoher Duktilität. Im Vergleich dazu bestehen herkömmliche Legierungen, seit Jahrtausenden praktiziert, aus einem oder zwei Grundelementen mit geringen Anteilen anderer Elemente. Dies jedoch schöpft das volle Potential der einzelnen Elemente und deren synergetische Effekte lange nicht aus.

Dr. Ziyuan Rao, der als Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE) arbeitet und nun zusammen mit seinen Kollegen am MPIE, der Technischen Universität Darmstadt, der Delft University of Technology (Niederlande) und des KTH Royal Institute of Technology (Schweden) die neuesten Forschungsergebnisse in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht hat, erklärt:
„Wenn wir Hochentropie-Legierungen entwickeln wollen und nur die am häufigsten genutzten Elemente im Periodensystem in Betracht ziehen, dann ergeben sie 1050 mögliche Legierungsvarianten – eine Zahl, die nicht experimentell überprüft werden kann. Deshalb haben wir ein auf Wahrscheinlichkeitsmodellen und künstlichen neuronalen Netzen basierendes Framework für aktives Lernen entwickelt“.

Dieses universelle Framework für aktives maschinelles Lernen hilft, neue Legierungen mit gewünschten Eigenschaften schneller und kostengünstiger zu identifizieren. Das Framework wurde erfolgreich bei der Entdeckung neuer Invar-Legierungen mit speziellen Wärmeausdehnungseigenschaften angewendet. Diese Legierungen bestehen aus Eisen und Nickel und dehnen sich nicht aus beziehungsweise ziehen sich nicht zusammen, wenn sich die Temperatur ändert. Ihr idealer Einsatzbereich sind Behälter zur Speicherung von flüssigem Wasserstoff, Ammoniak und Erdgas bei Temperaturen zwischen -160 °C und Raumtemperatur.

„Invar-Legierungen vorherzusagen ist rechnerisch ein sehr anspruchsvolles Problem, weil verschiedene Faktoren wie Magnetismus und Gitterschwingungen miteinander wechselwirken und die thermische Ausdehnung beeinflussen. Die Entdeckung neuer Invar-Legierungen ist deshalb ein hervorragender Beweis für unsere Berechnungen ebenso wie für das entwickelte Framework für aktives Lernen“, sagt Dr. Fritz Körmann, Forschungsgruppenleiter an der Universität Delft sowie am MPIE und Mitautor der Publikation.

Das von den Wissenschaftlern entwickelte Framework für aktives Lernen umfasst drei grundlegende Schritte. Zuerst werden vielversprechende Legierungszusammensetzungen auf Basis eines tiefen generativen Modells gefunden, das unüberwachtes Lernen mit zufälligen (stochastischen) Stichproben kombiniert. Im nächsten Schritt werden diese Zusammensetzungen mithilfe eines zweistufigen Regressionsmodells überprüft, nach dem etwa 20 vorgeschlagene Zusammensetzungen übrigbleiben. Von diesen Zusammensetzungen wird eine Rangfolge ermittelt, und die drei besten Kandidaten werden experimentell verarbeitet und charakterisiert.

„Wir führen die Modell-Vorhersagen, die theoretischen Berechnungen und die experimentelle Überprüfung in einem zirkulären Framework zusammen, und in nur sechs Iterationen haben wir erfolgreich zwei finale neuartige Invar-Legierungen mit verbesserten thermischen Ausdehnungseigenschaften identifiziert“, sagt Hongbin Zhang, Professor an der Technischen Universität Darmstadt und Mitautor der Publikation.  

Modelle für maschinelles Lernen haben ganz erstaunliche Erfolge erzielt, wenn praktisch unbegrenzte Datenmengen verfügbar sind, beispielsweise bei Videospielen oder wenn sie an fast einem Drittel der im Internet vorhandenen Inhalte trainiert werden. Viel schwieriger ist es dagegen, Anwendungsfälle zu finden, bei denen künstliche Intelligenz einen Unterschied in der realen Welt ausgemacht hat – wie dies hier der Fall ist. Es ist sehr spannend, dass die Vorhersagen nicht nur in der Simulation getestet wurden, sondern dass neue Legierungen physisch hergestellt und geprüft wurden“, sagt Stefan Bauer, Professor vom KTH Royal Institute of Technology und Experte für maschinelles Lernen. Die Wissenschaftler werden sich nun schwerpunktmäßig mit magnetischen Materialien und Magnetismus, wichtige Werkstoffe für die Energiewende, wie Oliver Gutfleisch, Professor an der Technischen Universität Darmstadt, betont, beschäftigen und die dazu nötigen Framework-Schritte entwickeln.

(Quelle: Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH)

Original-Veröffentlichung:
Z. Rao; P.Y. Tung, R. Xie, Y. Wie, H. Zhang, A. Ferrari, T.P.C. Klaver, F. Körmann, P.T. Sukumar, A. Kwiatkowski da Silva, Y. Chen, Z. Li, D. Ponge, J. Neugebauer, O. Gutfleisch, S. Bauer, D. Raabe
Machine learning-enabled high-entropy alloy discovery
Science 378 (2022) 6615

 

 

© Science 378 (2022) 6615. DOI 10.1126/science.abo4940
Überblick über das Framework für aktives Lernen zur Entwicklung von Hochentropie-Legierungen. © Science 378 (2022) 6615. DOI 10.1126/science.abo4940

Schlagworte

EisenforschungEnergieEnergiewendeErdgasErgebnisEUForschungIlvaIMUINGLEDLegierungenMax-Planck-InstitutMPIeNiederlandeSchwedenTemperaturUSAWasserstoffWerkstoffWerkstoffeWirtschaft

Verwandte Artikel

Unterzeichnungszeremonie bei El Marakby Steel. Von links nach rechts: Mona El Marakby, Chief Supply Chain Officer El Marakby Steel; Hassan El Marakby, Chief Executive Officer (CEO) El Marakby Steel; Enea Pasquali, Key Account Manager SMS group; Said Abdalla, Chief Operations Officer (COO) El Marakby Steel; Seif El Borollossy, SIGMA Engineering
21.02.2025

SMS erhält Auftrag zur Modernisierung einer Minimill

El Marakby, einer der größten Hersteller von geripptem Stabstahl und Walzdraht in Ägypten, steigert mit der Minimill-Modernisierung durch SMS seine Produktionskapazität u...

Anlagen Betonstahl CO2 CO2-Emissionen Draht Emissionen Energie Ergebnis EU Industrie ING KI Messung Modernisierung Partnerschaft Produktion Schlacke Schmelze Schmelzen SMS SMS group Stabstahl Stahl Stahlindustrie Stahlwerk Tube USA Walzanlage Walzwerk Wettbewerb Wettbewerbsfähigkeit Zusammenarbeit
Mehr erfahren
Auf den IBU-Mitgliedertagen 2025 in Leipzig dreht sich alles um die Zukunft der blechumformenden Industrie
20.02.2025

IBU-Mitgliedertage 2025: Die Zukunft im Fokus

Auf den IBU-Mitgliedertagen 2025 in Leipzig dreht sich alles um die Zukunft der blechumformenden Industrie. Auf dem Programm stehen u. a. Werksbesichtigungen bei Porsche...

Automobil Blech BMW Entwicklung EU Industrie Industrieverband Blechumformung ING Innovation KI LED Museum Umformen Umformung Unternehmen Wirtschaft
Mehr erfahren
Kontrollraum der Beizlinie bei SSAB in Hämeenlinna
20.02.2025

KI unterstützt Identifikation von Beizfehlern

Primetals Technologies hat von SSAB das Endabnahmezertifikat (FAC) für die Installation digitaler Assistenzsysteme erhalten. Es wurden erstmals Lösungen für die Bundident...

Anlagen Automatisierung Automobil BSW Bund Digitalisierung Endabnahme Ergebnis EU Finnland HZ Industrie ING Kaltwalzanlage Kran Optimierung Partnerschaft Primetals Produktion Produktionsprozess Profile Rohre SSAB Stahl Stahlrohre Walzanlage Zertifikat
Mehr erfahren
EAF bei Swiss Steel
19.02.2025

Swiss Steel: Aktionäre heben Börsenregistrierung auf

Swiss Steel Holding AG gibt bekannt, dass ihre Aktionäre auf der außerordentlichen Generalversammlung dem Antrag des Verwaltungsrats auf freiwillige Dekotierung der Aktie...

Aktionäre Essen EU Generalversammlung Handel HZ ING Langstahl Messe Stahl Swiss Steel Group Swiss STeel Holding Wettbewerb
Mehr erfahren
Baggerschaufeln - eine Lösung von ArcelorMittal
18.02.2025

ArcelorMittal zeigt Lösungen für Baumaschinen

Ob Stahl für Spundwände, Baggerschaufeln oder Seilbahnen: ArcelorMittal ist auf der Bauma in München vertreten. Die Experten erläutern die wichtigsten Stahllösungen für d...

Anpassung Bagger Baumaschinen Bergbau Blech Bleche CO2 CO2-Emissionen Dekarbonisierung Deutschland Draht Elektrolichtbogenofen Emissionen Entwicklung Ergebnis Essen EU Flachprodukte Hochwasser Industrie ING KI Klima Konstruktion Kreislaufwirtschaft Langprodukte Lichtbogenofen Messe Messung Profile Rohre Schrott Sensoren Stahl Studie Umwelt Umweltproduktdeklaration USA Wirtschaft
Mehr erfahren