Forscher entwickeln einheitliche Vorgaben, um Materialermüdung zu berechnen
Stahl-Fachwerkbrücken sind materialsparende und langlebige Lösungen. In der Praxis fehlen aber bisher einheitliche Vorgaben für die Berechnung der Materialermüdung der geschweißten Knoten bei der Bemessung der Brücken. Prof. Dr. André Dürr vom Institut für Material- und Bauforschung (IMB) der Hochschule München entwickelt über Großbauteilversuche diese Berechnungsregeln für Bauingenieure.
Die Ausmaße der Versuchsanordnung sind immens: Stahlrohre von 18 m Länge mit einem Stahlknoten in der Mitte hängen in einer Konstruktion, welche die 15 t schweren Bauteile in Schwingung bringt. So wird die Belastung des Verkehrs für die Brückenkonstruktion simuliert. Zeigt sich unter der dynamischen Belastung ein Riss, wird seine Ausbreitung beobachtet und vermessen, bis das ganze Rohr durchbricht. Dieser so genannte Großbauteilversuch der Hochschule München in einem Labor in Kissing bei Augsburg soll Aufschluss darüber geben, inwiefern sich die Ergebnisse kleinformatiger Versuchsanordnungen hochrechnen lassen: „Wie verhalten sich geschweißte Knotenverbindungen von Fachwerkbrücken in großen Dimensionen, wenn ich etwas schlankere Rohre mit größeren Blechdicken verwende?“, lautete die Forschungsfrage von Prof. Dr. André Dürr, Professor für Stahlbau und Baustatik an der Hochschule München.
Stahl-Fachwerkbrücken international als nachhaltige Lösungen
Geringer Materialaufwand, schlankere Gestaltung, künftig kalkulierbare Materialermüdung und Reparaturfähigkeit: Trotz des größeren Fertigungsaufwands sind Stahl-Fachwerkbrücken in den skandinavischen Ländern, Frankreich oder den USA weit verbreitet. In Deutschland hingegen bedarf jede Einzelne – wie die Fußgängerbrücke über die Bayerstraße zur Theresienwiese oder die Autobahnbrücke nähe Lichtenfels über die A73 – noch einer aufwändigen behördlichen Zustimmung. „Ein Ziel in unserem Projekt war, eine Richtlinie für den deutschen Ausschuss für Stahlbau vorzubereiten, damit Bemessungsempfehlungen für die Planer und Ingenieure vorhanden sind, damit dieser Bauweise in Deutschland nichts mehr im Wege steht“, sagt Dürr.
Schwachstellen Schweißnähte bei steigender Verkehrsbelastung
Bei der heute favorisierten Fachwerkkonstruktion sind die mächtigen Stahlrohre, die Gurte, mit den schmäleren Streben direkt im Zick-Zack miteinander verschweißt. Der schwächste Punkt der so genannten K-Knoten sind die Schweißnähte im Übergang der Streben zum Gurt, welche bei den dynamischen Belastungen bei Brücken zuerst Risse bekommen. Die Verkehrsbelastung durch die zunehmende Verkehrsdichte und die gewachsene Zahl an LKWs schlägt sich in der Zahl der Lastwechsel und der Schwingbreite zwischen geringster und höchster Belastung, nieder.
In Dürrs Großbauteilversuch brachten Unwuchterreger an beiden Enden des langen Stahlrohrs die Konstruktion zum Vibrieren, dann in ihrer Eigenfrequenz zum Schwingen: „Das sind 12-30 Lastwechsel pro Sekunde, die wir zur Kontrolle mit einer High-Speed-Kamera aufgenommen haben,“ sagt Dürr zum Versuchsaufbau, der die reale Verkehrsbelastung nachstellt. Sein Forschungsergebnis: Der erste Riss konnte erst nach einer langen Versuchsdauer festgestellt werden. Der zunächst 4 cm große Riss am Gurt wuchs bis zum Versuchsende auf 41 cm recht langsam.
Risswachstum kalkulierbar machen
Dieses „gutmütige“ Risswachstum ist gewünscht, um Zeit zu gewinnen für das Beobachten und Reparieren von Riss und Brücke: „Die Konstruktion muss trotz des Risses noch drei bis sechs Jahre halten und darf nicht zum schlagartigen Versagen führen“, sagt der Forscher. Für die künftige Bemessung der Brücken auf die gängige Lebensdauer von 100 Jahren heißt das: „Wenn das Gurtrohr immer dicker wird, dann heißt das nicht: doppeltes Gurtrohr, doppelte Lebensdauer. Diesen fehlenden Größenfaktor konnten wir bestimmen und können künftig damit rechnen.“
Im nächsten Schritt sollen Regelungen für Stahl-Fachwerkbrücken in den Ausschuss für Stahlbau in Deutschland eingebracht, später auch in europäische Normen umgesetzt werden. Im nächsten geplanten Forschungsprojekt untersucht Dürr die Verwendung von modernem hochfestem Stahl für noch schlankere Brücken-Konstruktionen.
Hochschule München
Schlagworte
BrückenbauForschungInstandhaltung