Forschung Panorama
Die Verteilung und Anordnung der Kohlenstoffatome in martensitischem Stahl spielen eine wichtige Rolle für die Leistungsfähigkeit des Stahls - Bild: Xie Zhang, Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH
12.06.2020

Forschung: Was im Stahl für Ordnung sorgt

komplexes energetisches Wechselspiel der Kohlenstoffatome in Metallen

Kohlenstoffatome spielen für die Festigkeit von Stahl eine wichtige Rolle. Doch auch in Stählen, die schon seit Jahrzehnten im Einsatz sind, war das kollektive Verhalten dieser Atome bisher nicht vollständig verstanden. Eine gemeinsame Arbeit an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und dem Max-Planck-Institut für Eisenforschung hat Licht ins Dunkel gebracht: Das Wechselspiel zwischen den Kohlenstoffatomen, den durch sie verursachten Verzerrungen des Kristallgitters und den Gitterbaufehlern im Stahl ist für die energetischen Vorlieben der einzelnen Kohlenstoffatome entscheidend. Mit diesem Verständnis lässt sich die Herstellung von hochfesten Werkstoffen genauer steuern. Darüber berichtet die Zeitschrift Nature Materials am 4. Mai 2020.

Wenn die Kohlenstoffkonzentration kippt

Die wichtigsten Bestandteile von Stahl sind die Elemente Eisen und Kohlenstoff. Entscheidend für die Festigkeit dieses Materials ist aber nicht in erster Linie das Mischungsverhältnis, sondern die Verteilung der Kohlenstoffatome. Nehmen sie nach der Stahlherstellung eine bestimmte Ordnung ein, sprechen die Experten von Martensit. Die Details der Bildung dieser Struktur gaben der Forschung allerdings Jahrzehntelang Rätsel auf: Bis zu einer bestimmten Konzentration von Kohlenstoff sammeln sich die Kohlenstoffatome aus energetischen Gründen an Grenzflächen und Defekten im Gitter der Eisenatome an. Steigt die Kohlenstoffkonzentration über einen bestimmten Wert, findet sich der Überschuss der Kohlenstoffatome nicht mehr an solchen Defekten, obwohl dort eigentlich noch genug Platz wäre. Vielmehr verteilen sich die C-Atome ab dieser Konzentration auf eine bestimmte, geordnete Weise im Kristallgitter. „Dabei ist der Abstand der Kohlenstoffatome im Gitter eigentlich viel zu groß, um eine solche Ordnung chemisch zu begründen“, so Dr. Jutta Rogal vom Interdisciplinary Centre for Advanced Materials Simulation Icams der RUB.

Warum das so ist, hat das interdisziplinäre Team durch eine Kombination von theoretischen Berechnungen und Experimenten herausgefunden. Zwei Aspekte sind dafür von Bedeutung: Für das Kippen zwischen der Ansammlung von Kohlenstoffatomen an Defekten hin zu einem geordneten Aufsuchen bestimmter Plätze im Metallgitter sorgen stark anharmonische Verzerrungen der Gittermatrix in bestimmte kristallographische Richtungen. „Ist die Kohlenstoffkonzentration zu gering für starke Verzerrungen, ist es energetisch am wenigsten aufwändig, Grenzen oder Defekte zu besetzen“, erklärt Dr. Tilmann Hickel vom Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE). „Ab einer gewissen Konzentration stellt sich aber ein kollektiver Effekt der Atome ein, weil dieser Zustand mit einer Absenkung des chemischen Potenzials einhergeht – was den Gesetzen der Thermodynamik nach einer Energieminimierung entspricht.“

Gesamtsystem und einzelne Teile

Will man also die Prozesse der Werkstoffherstellung steuern, muss man diese Grundlagen in ihren komplexen Zusammenhängen kennen. „Wir müssen die Energie des gesamten Systems als Funktion von Druck und Temperatur im Auge haben, aber gleichzeitig auch die Energetik des einzelnen Teilchens in diesem System“, fasst Prof. Dr. Jörg Neugebauer vom MPIE zusammen. Nur so ist es dem Forschungsteam gelungen, die theoretischen Vorhersagen mit in Experimenten gemessenen Daten in Einklang zu bringen. Für die Messungen an verschiedenen Werkstoffen kamen die Atomsondentomografie und die Transmissionselektronenmikroskopie zum Einsatz.

Max-Planck-Institut für Eisenforschung

Literatur: Zhang X., Wang H., Hickel T., Rogal J., Li Y., Neugebauer J.: Nature Materials, 2020, DOI: 10.1038/s41563-020-0677-9

Schlagworte

Forschung

Verwandte Artikel

Bildunterschrift: Emissionsreduzierter Stahl, oft auch als „grüner Stahl” bezeichnet, trägt maßgeblich zur weiteren Verbesserung der Umweltbilanz von Windenergieanlagen bei. Das Bild zeigt das Beispiel eines Hybrid-Stahl-Turms einer ENERCON-Windenergieanlage.
29.01.2025

Ilsenburger Grobblech liefert Stahl für Onshore-Windkraft

Vorgesehen ist der CO₂-reduzierte Stahl für den Bau eines Stahlturms für eine Onshore-Windkraftanlage. Daran beteiligt sind außerdem ENERCON, ein Hersteller von Windenerg...

Anlagen Blech Bleche Bramme CO2 Deutschland Elektrolichtbogenofen Emissionen Energie Essen EU Forschung Gesellschaft Grobblech Hybrid Ilsenburger Grobblech GmbH ING KI Klima Klimaschutz Kooperation Lichtbogenofen Maschinenbau Messe Nachhaltigkeit Niedersachsen Produktion Produktionsprozess Sachsen Salzgitter Salzgitter AG Schrott Stahl Stahlblech Stahlproduktion Strategie TEMA Transformation Transport Umwelt Unternehmen USA Vertrieb Wasserstoff Windpark Wirtschaft Zusammenarbeit
Mehr erfahren
Von links nach rechts: Liu Ding; Wang Zaiying; Li Renlong; Paul Tockert; Peter Langner; Jochen Burg; Tan Chengxu; Zhang Hongjun; Tian Yong, Gu Yan; Wen Miao).
27.01.2025

SMS und Ansteel unterzeichnen Absichtserklärung

Ziel dieser Absichtserklärung ist die Förderung von Technologien für grünen Stahl und Initiativen zur Dekarbonisierung. Beide Unternehmen bekräftigten ihr Engagement für...

China CO2 Dekarbonisierung Emissionen Entwicklung EU Förderung Forschung Industrie Klima Kooperation Produktion Service SMS group Stahl Stahlherstellung Stahlindustrie Stahlunternehmen Umwelt Unternehmen USA Zusammenarbeit
Mehr erfahren
Präsentation auf der wire & Tube 2022 in Düsseldorf
17.01.2025

Wire und tube präsentieren sich in Mexiko

Mexiko ist ein großer Markt für die Draht- und Kabel-, die drahtverarbeitende und die Rohrindustrie sowie deren Zulieferer. Mit Spannung werden die Fachmessen wire Mexico...

Automobil Brasilien China Draht Energie Entwicklung Essen EU Forschung Getriebe Handel Industrie ING Japan Kanada Klima Messe Modernisierung Montage OECD Produktion Profile Rohre Stahl Stahlrohre Transport Tube Unternehmen USA Wettbewerb Wirtschaft
Mehr erfahren
Hochofenschlacke, ein Nebenprodukt der Stahlherstellung, ist ein wertvoller Sekundärrohstoff. Bild Honorarfrei verwendbar nur in engem redaktionellen Zusammenhang
17.12.2024

FEhS-Institut: Sekundärrohstoffe verbindlicher stärken

Die Bundesregierung hat die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie beschlossen. Das FEhS – Institut für Baustoff-Forschung sieht darin einen zu verhaltenen Schritt zur S...

ABB Baustoffe Bund CO2 Deutschland Ergebnis Essen EU Forschung IBU Industrie ING Klima Kreislaufwirtschaft Messe Recycling Rohstoffe Schlacke Sekundärrohstoffe Stahl Stahlherstellung Stahlindustrie Strategie Umwelt Unternehmen USA Wirtschaft Wirtschaftsminister
Mehr erfahren
Dr. Begona Santillana, Leiterin des Projekts bei Tata Steel
04.12.2024

Tata Steel Nederland und ESA forschen auf der ISS an Stählen

Tata Steel Nederland und die Europäische Weltraumorganisation (ESA) führen auf der Internationalen Raumstation (ISS) Experimente durch, um die thermophysikalischen Eigens...

Anlagen Energie Energiewende Entwicklung Ergebnis Essen EU Forschung Industrie ING Innovation Materialforschung Produktion Produktionsprozess Stahl Stahlproduktion Temperatur Transport USA Zusammenarbeit
Mehr erfahren