Metallische Werkstoffe bilden das Rückgrat moderner Volkswirtschaften. Allerdings entstehen bei ihrer Herstellung und Verarbeitung große Mengen an CO2. Die Metallindustrie muss daher künftig klimafreundlicher produzieren. Darüber hinaus muss sich die CO2-Bilanz von Legierungen und ihren Bauteilen über ihre gesamte Lebensdauer verbessern. Dierk Raabe, Direktor am Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE) in Düsseldorf, erklärt, welche Möglichkeiten Industrieunternehmen in dieser Hinsicht heute schon haben und welche Aufgaben Metallurgen lösen müssen, um das Ziel einer nachhaltigen Metallwirtschaft zu erreichen.
Herr Professor Raabe, was könnten die Stahlindustrie und andere metallverarbeitende Branchen schon heute tun, um ihren Verbrauch an Ressourcen und ihren CO2-Fußabdruck schnell und spürbar zu senken?
Der Korrosionsschutz hat einen ganz großen Effekt, weil er Produkte langlebiger macht. Da geht es nicht nur um Eisen, das rostet, sondern auch um andere Materialien wie Aluminium oder Nickel. Außerdem geht es um Korrosion etwa durch Wasserstoff, der auf Metalle noch viel extremer wirkt als Wasser und Sauerstoff und zur Wasserstoffversprödung führt, einem Schaden, der zum plötzlichen katastrophalen Versagen von Bauteilen führen kann. Das war zum Beispiel eine der Ursachen für die Deep-Water-Horizon-Katastrophe, spielt aber auch bei Kraftwerken, Industriebauten und im Verkehr eine Rolle, vor allem wenn wir Wasserstoff künftig vermehrt als Energieträger nutzen möchten. Auch wenn Korrosionsschutz für Laien nicht so aufregend klingt, hat er einen riesigen Hebel, weil durch Korrosion weltweit jedes Jahr bis zu 4 % der Wirtschaftsleistung zerstört werden.
In welchen Bereichen ist Korrosion ein besonders großes Problem?
In einigen Bereichen ist man mit dem Korrosionsschutz schon sehr weit, zum Beispiel in der Automobilindustrie. Früher war eine wichtige Frage beim Autokauf noch: Rostet Deine Karre schnell durch oder nicht? Das ist Geschichte. Aber Infrastrukturen der Industrie, Hochhäuser, Brücken, Kraftwerke oder Züge – denken Sie nur an das Zugunglück 1998 bei Eschede – sind für Korrosion nach wie vor sehr anfällig. Und das multipliziert sich, wenn Wasserstoff in den nächsten zehn Jahren als Energieträger dazu kommt.
Wo sehen Sie darüber hinaus Möglichkeiten, Stahl und andere metallische Materialien nachhaltiger zu machen?
Einen sehr großen Einfluss wird auch die Elektrifizierung der Metallherstellung haben. Lange schon wird Aluminium, nach Stahl, der zweit-wichtigste metallische Werkstoff etwa für die Flugzeug- und Automobilindustrie, durch elektrolytische Reduktion von Aluminiumerz gewonnen. Dafür wird sehr viel Strom benötigt, der zum Teil heute schon aus regenerativen Quellen wie etwas Wasserkraft gewonnen wird. Auch andere Metalle, sogar Eisen, können Sie durch Elektrolyse erzeugen. Das lohnt sich wegen der hohen Strompreise bisher aber nicht. Insgesamt liegt bei der Elektrifizierung einer der größten Hebel für die Nachhaltigkeit der Primärerzeugung und Weiterverarbeitung von Metallen, wenn der Strom ausschließlich aus regenerativen Quellen kommt.
Welche Voraussetzungen sind nötig, um auch Eisen mit Strom herzustellen?
Der zu schleppende Ausbau der Stromtrassen für die grüne Elektrizität müsste endlich in die Gänge kommen. Denn man muss klar sagen, dass Sie in den Regionen wie etwa dem Ruhrgebiet, wo Eisen produziert wird, noch viele Jahre auf eine Anbindung an eine für solche Industrien ausreichende grüne Stromversorgung warten müssen, wie ein Blick auf die Homepage der Bundesnetzagentur zeigt. Außerdem kommt bei Marktabschätzungen etwa des Wuppertal-Instituts raus, dass es noch bis zu 20 Jahre dauern könnte, bis die komplett-elektrischen Verfahren konkurrenzfähig sind.
Für die Stahlindustrie hieße das aber, dass sie von der Herstellung in Hochöfen zu völlig neuen Prozessen kommen müsste. Ist das realistisch?
Die Investitionskosten selbst für einzelne Teilbetriebe integrierter Stahlwerke und Aluminiumhütten sind tatsächlich so hoch, dass es sich die Industrie nicht leisten kann, sie alle zehn Jahre neuzubauen. In einem ersten Schritt könnte man die Hochöfen aber sogar stehen lassen. Denn die Industrie kann den Kohlenstoff für die Reduktion, also Koks, Kohle, aber auch Biomasse oder Kunststoffmüll, durch bis zu 20 % Wasserstoff ersetzen, der dann natürlich auch mit regenerativem Strom aus Wasser erzeugt werden müsste. Und da die Stahlindustrie für etwa 6 % des gesamten weltweiten CO2-Aufkommens steht, würde sich das schon extrem stark auswirken. Diese Verfahren befinden sich weltweit bereits in der Erprobung. Außerdem kann die Industrie die Produktion mittelfristig auf die Direktreduktion umstellen. Dabei füllt man körnige Oxidpellets, wie sie Minen nach der Erzaufbereitung liefern, als Festkörper in einen Ofen und setzt sie direkt mit Methan um. Das wird in Ländern, in denen Methan preiswert ist, schon lange gemacht. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass sich die Anlagen im Prinzip auf bis zu 100 % Wasserstoff umstellen lassen.
Wann wird Eisen also mit Wasserstoff verhüttet?
Den vollständig wasserstoffbasierten Verfahren gibt man zehn bis zwölf Jahre, bis sie am Markt sind. Sie werden dann schätzungsweise 30 % teurer sein als die gegenwärtige Produktion im Hochofen. Und dabei ist die CO2-Verteuerung noch nicht komplett eingepreist. Es kann also sein, dass 30 % teurer in zehn Jahren ein wettbewerbsfähiger Marktpreis ist, falls entsprechende weniger nachhaltige Konkurrenzmaterialien von außerhalb der EU vergleichbaren Bedingungen unterworfen werden. Die schlechteste aller Lösungen wäre, wenn die Metallproduktion aus Europa verschwände und wir nicht-nachhaltig erzeugte Metalle aus Staaten außerhalb der EU einkaufen würden. Europa braucht eine eigenständige und nachhaltige Metallerzeugende und -verarbeitende Industrie, nicht zuletzt, weil es hier auch einen gigantischen Markt von etwa 400 Mrd. € pro Jahr gibt.
Welches Interesse könnte die Industrie auch in Ländern wie Deutschland haben, ihre Werke gegen Anlagen für die Direktreduktion auszutauschen?
Zum einen kann die Stahlindustrie so CO2-reduziertes Eisen erzeugen. Dafür sehen die Unternehmen schon die Notwendigkeit, weil sie abschätzen können, dass die Kosten durch die CO2-Bepreisung in den nächsten Jahren steigen werden und etwa Automobilhersteller künftig einen steigenden Anteil an CO2-freiem Stahl verbauen wollen. Zum anderen können die Unternehmen mit der Direktreduktion auch auf den Druck zur Flexibilisierung reagieren. Einen Hochofen müssen sie ununterbrochen auslasten, sonst geht der kaputt. Mit Öfen für die direkte Reduktion können sich Unternehmen viel flexibler auf den Markt einstellen und Eisen in verschiedenen Qualitäten erzeugen. Wir sind selbst überrascht, dass die Stahlindustrie die Umstellung auf solche Anlagen weltweit bereits jetzt massiv plant und angeht. Einige bestehende Anlagen werden auch schon auf Wasserstoff umgerüstet. Die Metallbranche wird in den nächsten Jahren eine der gewaltigsten Umwälzungen erleben. Denn Eisen wird seit mehr als 3500 Jahren im Prinzip nach demselben Reduktionsverfahren erzeugt.
Welche politischen Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um die Metallerzeugung nachhaltiger zu machen?
Bei politischen Entscheidungen sollte man auf jeden Fall über komplette Lebenszyklen hinweg analysieren, wie sich gesetzgeberische Maßnahmen, also etwa Förderungen oder Verbote auf die CO2-Bilanz auswirken. Wenn man zum Beispiel viel Geld darein pumpen würde, Stahl komplett elektrolytisch zu erzeugen, würde sich das erst einmal super anhören. Der Blick auf den Strommix zeigt aber, wie beim E-Auto, dass da heute immer noch 25 % t Braunkohlestrom dabei ist. Dann hat man nichts gewonnen. Auch Nachhaltigkeit muss eben nachhaltig durchdacht werden. Effekthascherei bringt nichts.
Wo wären gesetzliche Regelungen Ihrer Meinung nach sinnvoll?
Zum Beispiel bei Anreizen für geschlossene Schrottkreisläufe in der Industrie. Ich geb‘ Ihnen mal ein Beispiel: Es gibt einige Automobilunternehmen, die im Premiumsegment bereits heute überwiegend nur noch Aluminiumautos herstellen und zum Teil jährlich bis zu 300.000 t Aluminium verarbeiten. Beim Ausstanzen der Bauteile aus den Blechen hat man aber bis zu 45 % Materialverlust. Jetzt würde man denken, die sammeln den eigenen Schrott wieder ein. Denn wenn das Aluminium so sortenrein ist, haben Sie quasi Bargeld in der Hand. Aber das machen nur wenige Unternehmen konsequent, beispielsweise hier bei uns in der EU. Ansonsten ist es für viele Unternehmen immer noch viel preiswerter, sich neues Material am Markt zu kaufen anstatt geschlossene Schrottkreisläufe aufzubauen. Und meistens wird Schrott auch in der Industrie bereits gemischt, womit sein Wert auf bis zu einem Zehntel absinkt. Hier etwa steuerliche Anreize für frühzeitig getrennte Schrottkreisläufe zu schaffen, würde viel mehr bringen, als nur Kaffeekapseln oder Schokoladenpapiere zu sammeln, die wir als Verbraucher produzieren. Um die muss man sich zwar auch kümmern, im Vergleich zu den Industrieabfällen geht es da aber meist um Nachkommastellen.
Welchen Forschungsbedarf sehen Sie für nachhaltige Metallwerkstoffe?
Im Moment kommen in vielen Produkten viele unterschiedliche Legierungen zum Einsatz, weil die alle etwas Besonderes können. In einem ersten Schritt gucken wir uns an, welche Elemente in Legierungen kommen, wenn ich dafür einen gewissen Anteil an Schrott verwende. So finden Sie bereits heute in wiederverwertetem Aluminium von Autos zum Beispiel das extrem teure Neodym aus den Elektromotoren der Fensterheber und ähnlichem, weil die vor dem Einschmelzen nicht abgetrennt werden. Auf solche Weise gelangen auf einmal 20 Elemente und mehr in Legierungen, die wir bislang nicht auf dem Schirm hatten. Wir schauen uns an, wie solche Verunreinigungen die Eigenschaften der Legierungen verändern. Die Frage ist dabei, wie verunreinigt ein Material werden darf, damit es seinen Zweck noch erfüllt. Wenn wir wissenschaftlich belegen können, dass ein Material weniger rein sein muss, kann ich den Schrottanteil erhöhen und damit den CO2-Fußabdruck massiv verringern.
Kann der Schrott einer Branche auch in einem anderen Bereich wiederverwertet werden?
Nach solchen Möglichkeiten suchen wir. Wir schauen uns systematisch an, wo viel Material verbraucht wird und ob ich Legierungen dort toleranter gegenüber Verunreinigungen machen kann. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass das Baugewerbe für Dachplatten, Verkleidungen, tragende Elemente, Aufzüge und ähnliches mehr und mehr Aluminiumlegierungen verwendet, die mit der Aluminium-Mangan-Legierung von Getränkedosen verwandt sind. Bei den Dosen ist der Anteil der Wiederverwertung und damit die Menge der Verunreinigungen schon ziemlich hoch, weil die Legierung relativ gutmütig ist und auch nicht besonders viel können muss. Wir wollen jetzt erforschen, ob sich der Dosenschrott, von dem in vielen Ländern viel größere Mengen anfallen als in Deutschland, auch für den Bau verwenden lässt.
Was ist der zweite Schritt für die Forschung?
Da versuchen wir, die Vielzahl der Legierungen zu reduzieren und eine Art Einheitslegierung zu entwickeln. Die wäre viel besser wiederzuverwerten, weil viel weniger sortiert werden müsste. Bislang wurde die Spezialisierung von Materialien nämlich immer mit einer chemischen Veränderung erkauft: Sie basteln an der chemischen Zusammensetzung solange herum, bis dieser Kotflügel, dieses Flugzeugbauteil oder jene Turbine besser wird. Diese extreme Diversifizierung der Sorten, die das Recyceln schwierig macht, möchten wir zurückführen. Konkretes Beispiel: Ein Autohersteller könnte von einem Stahl- oder Aluminiumproduzenten fordern, dass er künftig statt fünf Legierungen, die alle auf eine bestimmte Eigenschaft wie Festigkeit oder Oberflächenqualität ausgereizt sind, nur noch zwei Legierungen bekommt.
Wie könnte sich die Vielfalt der Legierungen begrenzen lassen?
Die grundsätzliche Frage ist dabei, ob wir die Diversifizierung nicht mehr allein durch die chemische Zusammensetzung, sondern vor allem durch Veränderungen der Mikro- und Nanostruktur erreichen können. Das funktioniert bei Metallen traditionell sehr gut, aber man muss dann bei der Herstellung viel mehr Aufwand betreiben, um etwa eine bestimmte Größe und Ausrichtung der Kristalle einzustellen. Durch diesen Ansatz wird die grundsätzliche Vorgehensweise der Materialherstellung sozusagen von der Werkstoffchemie in die Metallphysik verschoben.
Wie viele Legierungen würden dann mutmaßlich übrigbleiben?
Wenn Sie heute zum Beispiel eine Aluminiumlegierung kaufen, können Sie zwischen bis zu 280 Legierungen wählen, die irgendetwas können, was Aluminium halt können soll. Wenn Sie aber gucken, was wirklich in großen Mengen verkauft wird, bleiben davon nur noch 50 oder 60 Legierungen übrig. Und wenn man sich da genau anschaut, was diese Legierungen eigentlich genau leisten sollen, haben Sie am Ende vielleicht nur noch 20 oder 30 Legierungen. Das ist jetzt natürlich nur grob geschätzt.
Der CO2-Ausstoß der Metallindustrie ließe sich auch reduzieren, indem weniger Material gebraucht wird. Sehen Sie Möglichkeiten, zum Beispiel Autokarosserien leichter zu machen?
Zunächst einmal: Autos sind in den vergangenen Jahrzehnten immer größer und schwerer geworden, aber eben durch immer mehr Luxus und Zusatzausstattung wie Klimaanlagen, Verkabelung oder Bordcomputer, wie sie heute als Mindeststandard gelten. Und ganz extrem wird es natürlich bei den Elektrofahrzeugen, bei denen allein die Batterie bis zu 800 kg wiegt. Da könnten Sie aber nochmal 200 oder 300 kg drauf packen, wenn die Karosserien nicht schon viel leichter geworden wären, weil die Legierungen immer fester wurden. Trotzdem geht die Konkurrenz unter den Materialherstellern immer noch weiter, wer die festesten Stähle und Aluminiumlegierungen bereitstellen kann. Denn wir sind immer noch bei nur etwa einem Zehntel der theoretisch möglichen Festigkeit dieser Werkstoffe. Da ist also noch viel zu erforschen, um die Werkstoffe an ihre physikalischen Grenzen zu bringen.
Vielleicht sind Sie als Metallforscher für die nächste Frage nicht der richtige Adressat. Trotzdem: Wäre es sinnvoll, metallische Werkstoffe an manchen Stellen durch Kunststoffe zu ersetzen?
(Lacht) Da fragen Sie jetzt wirklich den falschen. Tatsächlich hat man immer wieder Polymermaterialien mit Kohlenstofffasern für Karosserien propagiert, aber mit Blick auf die Ökobilanz ist das wirklich Quatsch. Die Herstellung von Kohlenstofffasern kostet extrem viel Energie und setzt große Mengen CO2 frei. Und am Ende können Sie diese Materialien überwiegend eigentlich nur noch in die Müllverbrennungsanlage werfen. Es heißt zwar manchmal, diese polymerbasierten Materialien könnten wiederverwertet werden, aber Sie können die höchstens zerhäckseln und Fußmatten draus machen. Metalle lassen sich dagegen unendlich oft wiederverwerten, vorausgesetzt man sammelt die Schrotte sortenrein, versteht und kontrolliert die Wirkung von Verunreinigungen beziehungsweise reduziert die Vielfalt der eingesetzten Legierungen. Und leichte Magnesiumbauteile kommen bereits jetzt beim Gewicht ganz locker in die Nähe von Polymerbauteilen, sind aber komplett wiederverwertbar.
Interviewt wurde Prof. Dr. Dierk Raabe, geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Eisenforschung, von Peter Hergersberg, Redakteur in der Max-Planck-Gesellschaft.
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