Max-Planck-Forscher präsentieren neues tiefenneuronales Netz zur Vorhersage des mechanischen Verhaltens von Materialien
Die Vorhersage des mechanischen Verhaltens aller Systeme, die uns umgeben, von Fahrzeugen und Raumschiffen bis hin zu Brücken und Wolkenkratzern, ist für Sicherheit und Design unerlässlich. Seit mehr als 300 Jahren wissen Wissenschaftler*innen, wie man die zugrundeliegende Physik in mathematische Formeln übersetzt. Dank des technologischen Fortschritts wurde eine riesige Sammlung von numerischen Werkzeugen und Methoden entwickelt, um die komplexen Gleichungen computergestützt zu lösen und korrekte Antworten zu verschiedenen mechanischen Problemen vorherzusagen. Das direkte Lösen dieser Gleichungen braucht aber Zeit und wird umso schwieriger, je komplexer das System ist. Deswegen sehen sich Forscher oft dazu gezwungen, Näherungen zu verwenden, anstatt alle Variablen des Systems zu berücksichtigen. Jetzt wurde ein großer Schritt in Richtung genauer und schneller Vorhersagen der Mechanik komplexer Materialien gemacht. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung (MPIE) und DeepMetis, einem auf künstliche Intelligenz spezialisierten Unternehmen in Berlin, haben tiefe neuronale Netze eingesetzt, um lokale Spannungen in komplexen Materialien zu berechnen - und das bis zu 8300 Mal schneller als ein Standard-Rechensystem, sogenannte Solver, es tun würde. Ihre neuesten Ergebnisse veröffentlichten sie in der Zeitschrift „npj Computational Materials“.
„Unsere Arbeit zeigt, wie all diese Berechnungen durch maschinelles Lernen ersetzt werden können. Anstatt die Gleichungen direkt zu lösen, haben wir ein neuronales Netzwerk entwickelt, das die Physik erlernen und korrekte Antworten auf komplexe und nichtlineare Fragen der Mechanik vorhersagen kann, indem es sich einfach einen großen Datensatz ansieht.“, erklärt Dr. Jaber Rezaei Mianroodi, Leiter der MPIE-Gruppe „Computational Sustainable Metallurgy“ und Erstautor der Veröffentlichung.
Nachdem das neuronale Netz mit vorberechneten korrekten physikalischen Reaktionen trainiert wurde, ist es in der Lage, Lösungen für Probleme und Konfigurationen vorherzusagen, denen es während des Trainings nie begegnet ist. Ähnlich wie ein erfahrener Ingenieur, der ein Gespür für komplexe mechanische Probleme entwickelt und in der Lage ist, innerhalb von Sekunden fundierte Vermutungen anzustellen, lernt das Netzwerk die zugrunde liegende Physik und sagt Lösungen in Mikrosekunden vorher. Die Vorhersagen des Netzwerks sind trotz der Komplexität des Systems um Größenordnungen schneller als herkömmliche Solver. Im Gegensatz zu konventionellen Solvern, die einen iterativen (Versuch und Irrtum) Ansatz zur Lösung nichtlinearer Probleme erfordern, ist der trainierte maschinelle Solver nicht iterativ.
„Diese Methode kann die herkömmlichen Solver ersetzen und verbessert unser Verständnis von Multiskalen- und Multiphysik-Problemen. Unser Solver verbraucht um Größenordnungen weniger Rechenzeit, was neue Möglichkeiten für innovative Materialmodelle eröffnet. Die Einbeziehung unserer maschinellen Lerntechnik wird uns dabei helfen, die Modelle aussagekräftiger und realistischer zu machen, da sie die Optimierung noch komplizierterer Systeme ermöglicht.“, sagt Dr. Nima Siboni, Experte für künstliche Intelligenz bei DeepMetis und Alumni des MPIE.
Die Forscher werden nun die Flexibilität und den Umfang des maschinellen Lernansatzes erweitern, um noch genauere Vorhersagen zu treffen. Außerdem planen sie, weitere wichtige Gleichungen zu untersuchen, die mit herkömmlichen Methoden nur zeitaufwändig zu lösen wären.
Originalpublikation:
J. R. Mianroodi, N. H. Siboni, D. Raabe: Teaching solid mechanics to artificial intelligence – a fast solver for heterogeneous materials. In: npj Compu Mats, 10.1038/s41524-021-00571-z.
Autoren: J. R. Mianroodi, Y. Ahmed Salem
Schlagworte
EisenforschungForschungKünstliche IntelligenzMax-Planck-InstitutMPIeTechnik