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Der Umbau des thyssenkrupp-Konzerns geht weiter - Foto: thyssenkrupp
22.11.2019

Jahresfehlbetrag und Personalabbau

Im abgelaufenen Geschäftsjahr hat thyssenkrupp in einem schwierigen konjunkturellen Umfeld ein leichtes Wachstum erzielt. Auftragseingang und Umsatz stiegen auf jeweils 42,0 Mrd €, ein Plus von je 1 % gegenüber den Vorjahreswerten. Zum Wachstum haben vor allem die Industriegütergeschäfte beigetragen. In den Werkstoffgeschäften haben dagegen die zunehmend schwächere weltwirtschaftliche Dynamik, die deutliche Eintrübung im Automobilsektor und der weiterhin hohe Importdruck beim Stahl das Wachstum gebremst. Hinzu kam ein massiver Anstieg der Rohstoffpreise. Diese Faktoren belasteten auch das operative Ergebnis – insbesondere in den Geschäften mit Auto-Komponenten und bei den Werkstoffen. Das Bereinigte EBIT des Konzerns entspricht mit 802 Mio € (Vorjahr: 1,4 Mrd €) der im August 2019 angepassten Prognose.

„Die Performance etlicher unserer Geschäfte ist nicht zufriedenstellend. Das hat auch damit zu tun, dass notwendige strukturelle Verbesserungen und Restrukturierungen nicht mit der notwendigen Konsequenz umgesetzt wurden. Das werden wir jetzt angehen. Zügig und systematisch“, so Martina Merz, Vorstandsvorsitzende der thyssenkrupp AG. Der neu formierte Konzernvorstand hat sich vor diesem Hintergrund vier klare Prioritäten gesetzt und konzentriert sich auf das Performance-Thema, die Elevator-Transaktion, die Zukunftsfähigkeit des Stahlgeschäfts und die Weiterentwicklung der Organisation. Oberstes Ziel des Unternehmens ist weiterhin, die Leistungsfähigkeit der Geschäfte zu steigern. In allen Bereichen laufen bereits zahlreiche Maßnahmen.

Martina Merz: „Wir drehen gerade jeden Stein im Unternehmen um. Da sehen wir viele Geschäfte, in denen die Verbesserung der Performance eine ganz alltägliche Praxis ist. Wir müssen nicht überall üben, Spitze zu sein. Es gibt Konzernunternehmen, die zu den besten ihrer Branchen gehören. Das darf aber nicht über den dringenden Handlungsbedarf hinwegtäuschen, den wir in anderen Geschäften sehen.“ Weitere Entscheidungen dazu hat der Vorstand in den vergangenen Wochen getroffen: So wird sich Industrial Solutions auf den operativen Turnaround fokussieren. Gleichzeitig aber sieht thyssenkrupp hier Chancen, die verschiedenen Geschäfte im Anlagenbau gemeinsam mit Partnern oder unter einem neuen Dach weiterzuentwickeln. Dazu werden aktuell Informationen zu den Geschäften in sogenannten Factbooks vorbereitet, um zeitnah Gespräche mit potenziellen Interessenten konkretisieren zu können.

Bei System Engineering hat der Restrukturierungsprozess bereits begonnen. Dort wird es zu einem Abbau von ca. 640 Stellen kommen. Insgesamt hat thyssenkrupp für Restrukturierungen im laufenden Geschäftsjahr einen mittleren dreistelligen Mio.-€-Betrag reserviert. thyssenkrupp erwartet durch alle angestoßenen Performance-Maßnahmen operative Verbesserungen, die ihre volle Wirkung jedoch noch nicht im laufenden Geschäftsjahr entfalten werden. Die derzeit schwache Konjunktur wird die Margen der Geschäfte außerdem weiter belasten. Darüber hinaus werden sich mögliche Portfolio-Änderungen auf die Finanzkennzahlen des Konzerns auswirken. Damit wird die Basis für die Erreichung der Ziele des Konzerns insgesamt verändert. Die im August 2018 aufgestellten Mittelfristziele wird thyssenkrupp deshalb nicht wie geplant im Geschäftsjahr 2020/2021 erreichen. Das mit den Mittelfristzielen verbundene Anspruchsniveau bleibt jedoch erhalten. Die Geschäfte werden ihre Ziele lediglich ihren unterschiedlichen Zyklen entsprechend zu unterschiedlichen Zeitpunkten erreichen.

Um den finanziellen Spielraum für den Konzernumbau zu vergrößern, treibt thyssenkrupp als zweite Priorität die geplante Elevator-Transaktion weiter voran. Der Konzern bleibt im „Dual Track“ und arbeitet an allen Optionen. Die Vorbereitungen sind so getaktet, dass thyssenkrupp voraussichtlich im ersten Quartal 2020 eine fundierte Entscheidung darüber treffen kann, welche Optionen primär weiterverfolgt werden sollen. Die internen Vorbereitungen für einen IPO werden bis Jahresende abgeschlossen. Bereits jetzt liegen thyssenkrupp indikative Angebote von strategischen Investoren und von Finanzinvestoren vor. Auf Basis einer Due Diligence erwartet thyssenkrupp bindende Angebote als Basis für potenzielle Verhandlungen im neuen Jahr.

Als Priorität Nummer drei wird der Konzern die Performance-Themen und die strukturellen Herausforderungen im Stahlbereich angehen. Ziel ist es, dem Stahl eine langfristige Perspektive zu geben. Hierzu arbeitet der Stahlvorstand derzeit an einem Zukunftskonzept, das im Dezember zunächst im Aufsichtsrat der thyssenkrupp Steel Europe AG vorgestellt und mit der Mitbestimmung besprochen wird.

Die vierte Priorität ist die Weiterentwicklung der Organisation. Mit flacheren Hierarchien und einer direkteren Art der Zusammenarbeit soll eine neue Organisation die Eigenverantwortung der Geschäfte weiter stärken. Grundzüge der künftigen Struktur hatte thyssenkrupp Ende September intern bereits vorgestellt. So schafft der Konzern die Matrix-Organisation ab. Bei Components Technology und Industrial Solutions werden die Führungsgesellschaften weitgehend aufgelöst. In der Zentrale wird die Zahl der zentralen Funktionen von 15 auf 10 reduziert. Die Anzahl der knapp 800 Mitarbeitenden wird hier auf ca. 430 in den kommenden 12 Monaten reduziert.

Trotz der im Jahresverlauf immer schwächer werdenden Marktdynamik – insbesondere im Automobilsektor – konnte die Business Area Components Technology Auftragseingang und Umsatz gegenüber dem Vorjahr signifikant verbessern. Die Steigerungen resultierten vorwiegend aus dem Bereich Industriekomponenten (Windenergie, Baumaschinen, schwere Nutzfahrzeuge). Bei Pkw-Komponenten machte sich dagegen die schwache Entwicklung in China bemerkbar. Auch in Westeuropa und den USA war die Nachfrage rückläufig. Dies belastete das operative Ergebnis der Business Area. Weiterhin wurde das Ergebnis gedrückt von negativen Ergebnisbeiträgen bei Federn und Stabilisatoren. Dank der erfreulichen Entwicklung im Geschäft mit Industriekomponenten lag das Bereinigte EBIT von Components Technology in der Summe mit 233 Mio € dennoch deutlich über dem durch Qualitätsthemen belasteten Vorjahreswert (197 Mio €).

Im Aufzugsgeschäft Elevator Technology verbuchte thyssenkrupp im abgelaufenen Geschäftsjahr Aufträge im Wert von 8,2 Mrd € – ein neuer Höchstwert. Dazu trugen unter anderem mehrere Großprojekte in China sowie ein weiteres in Sydney, Australien, bei. Das Servicegeschäft wuchs vor allem in den USA und in Asien. Der Umsatz stieg gegenüber dem Vorjahr um 5 Prozent. Das Bereinigte EBIT verbesserte sich ebenfalls um 5 Prozent auf 907 Mio €. Wesentliche Faktoren waren die Umsetzung des Performanceprogramms, das durch Leistungsoptimierung und Restrukturierung positive Beiträge lieferte, sowie das deutliche Wachstum des Servicegeschäfts. Mit einem spürbar verbesserten Bereinigten EBIT in China wurden höhere Materialpreise in den USA weitestgehend kompensiert. Insbesondere die deutlichen Margensteigerungen in der zweiten Jahreshälfte bestätigen den zuletzt positiven Trend.

Industrial Solutions konnte seinen Umsatz im abgelaufenen Geschäftsjahr um 10 Prozent steigern. Dazu trug insbesondere der Chemieanlagenbau bei. Der Auftragseingang lag infolge einer zurückhaltenden Vergabe von Großprojekten unter dem Wert des Vorjahres. Das Ergebnis entwickelte sich schwächer als im Vorjahr. Gründe dafür waren geringere Margen bei Projekten in Abrechnung und eine partielle Unterauslastung. In der Summe verzeichnete Industrial Solutions ein Bereinigtes EBIT von -170 Mio € (Vorjahr: -127 Mio €).

Das Marinegeschäft konnte den Auftragseingang im abgelaufenen Geschäftsjahr mehr als verdreifachen. Positiv wirkte hier insbesondere ein Großauftrag über vier Fregatten aus Nordafrika im 4. Quartal. Auch der Umsatz stieg deutlich an. Dies und der Wegfall einmaliger Projektaufwendungen im Vorjahr führte zu einem deutlich verbesserten operativen Ergebnis. So schloss Marine Systems das Geschäftsjahr 2018/2019 mit 1 Mio € leicht positiv ab (Vorjahr: -128 Mio €). Das Bereinigte EBIT ist jedoch weiterhin durch die geringen Margen bei Projekten in Abrechnung belastet.

Die konjunkturellen Unsicherheiten und das schwierige Marktumfeld im Automobilsektor bekam auch die Business Area Materials Services zu spüren. Auftragseingang und Umsatz entwickelten sich deutlich negativ. Sinkende Marktpreise und eine sehr schwache Nachfrage, vor allem im lagerhaltenden Handel und Streckengeschäft sowie in den automobilnahen Servicecentern in Europa, belasteten das Geschäft und führten zu erheblich negativen Effekten. Die positive Entwicklung in Nordamerika konnte dies nicht mehr kompensieren. Entsprechend blieb das Bereinigte EBIT mit 107 Mio € deutlich unter dem hohen Niveau des Vorjahres (317 Mio €).

Die Geschäftsentwicklung von Steel Europe war insbesondere zu Beginn des abgelaufenen Geschäftsjahres durch Sonderfaktoren beeinflusst – vor allem durch das historische Niedrigwasser des Rheins sowie das neue Abgasprüfverfahren WLTP, das mit vorübergehenden Produktionseinbußen in der Automobilindustrie verbunden war. Im weiteren Jahresverlauf machte sich auch hier die insgesamt nachlassende Marktdynamik, insbesondere aufgrund der spürbar gesunkenen Nachfrage aus der Automobilindustrie, bemerkbar. Auftragseingang und Umsatz lagen unter Vorjahr. Das Bereinigte EBIT verringerte sich auf 31 Mio € (Vorjahr: 687 Mio €). Neben den deutlich rückläufigen Versandmengen schlugen zugleich drastisch gestiegene Rohstoffkosten insbesondere für Eisenerz sowie negative Wechselkurseffekte zu Buche.
Deutlich schneller als geplant kommt thyssenkrupp mit der Senkung der Verwaltungskosten in der Zentrale und in der Regionalorganisation voran. Dadurch konnten die Kosten für Corporate insgesamt im abgelaufenen Geschäftsjahr auf -306 Mio € (Vorjahr: -377 Mio €) verringert werden.

Unter dem Strich verzeichnet thyssenkrupp für das Geschäftsjahr 2018/2019 einen Jahresfehlbetrag von -260 Mio € (Vorjahr -12 Mio €). Hierin enthalten sind auch die im 2. Quartal erfolgte Erhöhung der Rückstellung für Risiken aus einem Kartellverfahren und Restrukturierungsaufwendungen. Nach Abzug der Minderheitenanteile lag der Nettoverlust bei -304 Mio € (Vorjahr: -62 Mio €); das Ergebnis je Aktie betrug -0,49 € (Vorjahr -0,10 €). Der Free Cashflow vor M&A lag mit -1,1 Mrd € im Gesamtjahr deutlich unter dem Vorjahreswert (-134 Mio €). Hauptgrund für den deutlichen Mittelabfluss war die erhöhte Mittelbindung insbesondere bei den Werkstoffgeschäften in den ersten neun Monaten. Das mit 1,4 Mrd € starke Schlussquartal - mit positiven Mittelzuflüssen bei den Werkstoffgeschäften sowie Components Technology und Elevator Technology - konnte diese Entwicklung nicht mehr kompensieren. Die Netto-Finanzschulden des Konzerns betrugen zum Bilanzstichtag (30. September 2019) 3,7 Mrd € (Vorjahr: 2,4 Mrd €). Unter Berücksichtigung der freien Liquidität von 7,3 Mrd € sowie der ausgewogenen Fälligkeitsstruktur ist thyssenkrupp weiterhin solide finanziert. Das Eigenkapital hat sich gegenüber dem Vorjahresstichtag von 3,2 Mrd € auf 2,2 Mrd € verringert. Hier wirkte sich zum einen der Jahresfehlbetrag aus. Hinzu kamen insbesondere negative Effekte aus dem gesunkenen Zinsniveau, das eine Neubewertung der Pensionsverpflichtungen erforderte. Das Gearing, also das Verhältnis von Nettofinanzschulden zu Eigenkapital, lag zum Bilanzstichtag bei rund 167 Prozent (Vorjahr: rund 74 Prozent). Der mit den finanzierenden Banken vereinbarte Gearing-Grenzwert wurde damit eingehalten. Vor dem Hintergrund der schwachen operativen Performance und der Finanzlage schlagen Vorstand und Aufsichtsrat der Hauptversammlung am 31. Januar 2020 vor, für das Geschäftsjahr 2018/2019 keine Dividende auszuschütten.

Prognose 2019/2020
thyssenkrupp blickt insgesamt vorsichtig auf das laufende Geschäftsjahr 2019/2020. Die wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten geben dem Konzern eine nur begrenzte Sichtweite. Insbesondere in den zyklischen Geschäften mit Werkstoffen und bei den Auto-Komponenten führt dies zu einer eingeschränkt verlässlichen Planbarkeit. Vor dem Hintergrund der Fortschritte bei den Industriegütergeschäften insgesamt und einer insgesamt schwächeren Ergebnisentwicklung der Werkstoffgeschäfte rechnet der Vorstand mit einem Bereinigten EBIT auf Vorjahresniveau. Der Free Cashflow vor M&A wird unter Vorjahresniveau erwartet. Zuflüsse kommen aus den operativen Verbesserungen, in Abhängigkeit von Zuflüssen des Auftragseingangs und Zahlungsprofils von Projekten im Anlagenbau und bei Marine Systems. Belastend wirken die erwartete Kartellstrafe und die im Zuge der Umsetzung von „newtk“ deutlich höheren Auszahlungen für Restrukturierungen im mittleren dreistelligen Mio-€-Betrag. Die Aufwendungen für die Intensivierung der Restrukturierungen (Sondereffekte) werden unter dem Strich zu einem deutlich höheren Jahresfehlbetrag als im Vorjahr führen.

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