Veranstaltung
Beim diesjährigen BFI-Kolloquium konnten sich die Teilnehmer aus der Stahlindustrie über aktuelle Forschungsthemen und ­interessante Lösungsansätze informieren und mit den BFI-Experten diskutieren - Foto: BFI
12.06.2019

BFI: Lösungsansätze und Ideen für angewandte Forschung

Angewandte Forschung für die Stahlindustrie bildete erneut den Rahmen für das BFI-Kolloquium am 8. Mai in Düsseldorf. Die Referenten und Fachexperten des VDEh-Betriebsforschungsinstituts (BFI) informierten die rd. 80 Teilnehmer aus der Stahlindustrie über neue Forschungsthemen und diskutierten im Rahmen von Brokerage-Sessions die interessanten Lösungsansätze und Forschungsideen. Neben Lösungsansätzen zur CO2-Reduktion und Energieeffizienz standen Entwicklungen in den Bereichen Kreislaufwirtschaft, ungenutzte Potenziale in der Prozess- und Prozesskettenoptimierung sowie eine Reihe an neuen Forschungsideen rund um Industrie 4.0 und Messtechnik im Mittelpunkt. Unsere Redaktion fasst die Inhalte der interessanten Veranstaltung zusammen.

Das VDEh-Betriebsforschungsinstitut (BFI) konzentriert sich seit einigen Jahren auf vier Themenfelder, die für die gesamte Prozessindustrie aktuell von herausragender Bedeutung sind: Optimierung von Einzelprozessen und Prozessketten, Anwendung von Industrie-4.0-Konzepten sowie Messtechnik, Steigerung der Energieeffizienz und Reduktion von Emissionen sowie die Schließung von Stoffkreisläufen.

Beim BFI-Kolloquium 2019 moderierten die BFI-Geschäftsführer, Prof. Dr. Harald Peters und Dr. Thorsten Voß, die 33 Vorträge ihrer Mitarbeiter. Übersichtsvorträge zu den Themenfeldern des Institutes leiteten die jeweiligen Sessions ein. In fünfminütigen Kurzvorträgen zeigten die Forscherinnen und Forscher des BFI dann eine große Vielfalt an einzelnen Forschungsideen, die in anschließenden ­Brokerage-Sessions mit den Teilnehmern diskutiert wurden. Schwerpunkte in diesem Jahr waren die Themenfelder

  • CO2-Reduktion und Energieeffizienz
  • Kreislaufwirtschaft
  • Prozess- und Prozesskettenoptimierung
  • Industrie 4.0 und Messtechnik.

CO2-Reduktion und Energieeffizienz.
Dr. Bernhard Stranzinger stellte im ersten Übersichtsvortrag die Potenziale zur flexiblen Ausrichtung von Industrieprozessen auf eine fluktuierende Energieversorgung vor. Innerhalb des „Synergie“-Projekts, an dem das BFI innerhalb des Kopernikus-Projekts (www.kopernikus-projekte.de) beteiligt ist, wurde das Flexibilisierungspotenzial bei der Elektrostahlerzeugung untersucht und anhand eines Referenzprozesses ein Prognosemodell für den Energiebedarf entwickelt. Untersucht wurde der hybride Einsatz von Energieträgern (Strom und Gas). Nach der Auswertung der Betriebsdaten von 26 Elektroöfen wurde ein Einsparpotenzial von rd. 760 MW ermittelt. In den geplanten Folgeprojekten „HyBest“ und „Flex Electrical Steel“ sollen in der zweiten Phase des Synergieprojekts gemeinsam mit Partnern aus der Stahlindustrie praktische Ansatzpunkte untersucht werden.

Michael Hensmann präsentierte die von der Stahlindustrie derzeit verfolgten technologischen Ansätze zur CO2-Minderung. Der Pathway „Carbon Direct Avoidance“ (CDA) verfolgt den Ansatz der Stahlerzeugung aus Eisenerz unter Verwendung erneuerbarer Energie oder grünem Wasserstoff. „Process Integration“ (PI) zielt ab auf die reduzierte Nutzung von Kohlenstoff und entsprechende CO2-Minderung durch Modifikation der Verfahren zur Stahlproduktion, mit oder ohne CCS (Carbon Capture and Storage). Der Pathway „Carbon Capture and Usage“ (CCU) basiert auf der Nutzung des aus Hüttengasen abgetrennten CO2 als Rohstoff für die Produktion von Wertstoffen wie Chemikalien oder Treibstoffen. Übergangstechnologien wie z.B. die Injektion von H2 in den Hochofen führen bereits kurz- bis mittelfristig zu einer relevanten CO2-Minderung bei der Stahlproduktion. Das BFI koordiniert das EU-Projekt „Low Carbon Future“ (www.lowcarbonfuture.eu) und ist für die Stahlindustrie Projektpartner im NRW-Projekt „SCI4Climate“ (www.in4climate.de).

Kreislaufwirtschaft.
Die Perspektiven einer flexiblen und transparenten Wasserwirtschaft in der Stahlindustrie verdeutlichte Dr. Matthias Kozariszczuk. Während der Stahlerzeugung wird das Wassermanagement bisher überwiegend wie in Batchprozessen betrachtet, z.B. beim Betrieb von Vakuumanlagen im Stahlwerk. Zukünftig soll durch die engere Verknüpfung von Produktion und Prozesswasserbehandlung eine ganzheitliche Betrachtung ermöglicht werden.

Gerald Stubbe stellte Ansätze zur Rückgewinnung anorganischer Wertstoffe im Bereich der Stahlindustrie unter Anwendung pyro- und hydrometallurgischer Verfahren vor. So können aus metallhaltigen Schlämmen, Stäuben und Zunder die Wertstoffe beim hydrometallurgischen Verfahren z.B. mithilfe ultraschallunterstützter Laugung zurückgewonnen werden. Beispiele für die Pyrometallurgie sind z.B. der Einsatz von Reststoffbriketts im Schachtofen bzw. der Wiedereinsatz von Reststoffen aus dem Sinterprozess im Hochofen. Die Zinkrückgewinnung kann in Drehrohr-, Drehherd- und in Mehretagenöfen sowie mithilfe des im BFI ­entwickelten Schmelzbad-Injektionsverfahrens erfolgen. Vorgestellt wurden auch Verfahren zur Rückgewinnung von Legierungselementen im Elektrolichtbogenofen, Elektroniederschachtofen und mithilfe des Plasmaofenverfahrens.

Prozess- und Prozesskettenoptimierung.
Über die Digitalisierung der Roheisenerzeugung informierte Dr. Hauke Bartusch. Am Hochofen verfügbare Messdaten unterliegen in der Regel zahlreichen Quereinflüssen und ermöglichen nur eine begrenzte Prozessanalyse. Für Teilbereiche, wie z.B. die Überwachung des Gestellmauerwerks, können analytische Modelle die Prozessführung unterstützen. Für die Onlineanwendung solcher Modelle ist eine sorgfältige Plausibilisierung der Daten notwendig. Können analytische Modelle nicht angewandt werden, sind auch rein datenbasierte Methoden nutzbar, z.B. zur Früherkennung von Schäden an den Blasformen. Trotz einer Vorhersagequote von rd. 90 % seien diese aber allein nicht ausreichend. Besser sei die Kombination aus datenbasierten Methoden mit analytischen und wissensbasierten Ansätzen in Form von hybriden Lösungen.

Die Möglichkeiten der Zunderkonditionierung und -minimierung durch ausgewählte Beschichtungen stellte anschließend Martin Wunde vor. Ein Projekt mit BFI-Beteiligung wurde für die Erreichung von 75 % Zunderreduzierung mit dem NRW-Effizienzpreis ausgezeichnet. Es zeigte sich auch, dass Beschichtungen Einfluss nehmen können auf die Wärmedurchgangseigenschaften von Zunder. Des Weiteren wurde ein Risswachstumsmodell für Zunder entwickelt, dem Daten aus dem realen Erwärm- und Abkühlprozess (z.B. auf dem Rollgang) zugrunde liegen.

Industrie 4.0 und Messtechnik.
Wege zur Umsetzung von Industrie 4.0 in der Stahlindustrie stellt Norbert Holzknecht vor. Dies könne z.B. durch Kombination aus vertikaler Integration und vernetzten Produktionssystemen (= horizontale Integration) gelingen. Für das produktionsbegleitende Informationsmanagement zur Datenerfassung werden sog. „Digitale Schatten“ genutzt. Diese Digitalen Schatten werden mit geeigneten Modellen von Produkt und/oder Anlage sowie Techniken für gegenseitigen Informationsaustausch zu „Digitalen Zwillingen“ kombiniert. Die Digitalen Zwillinge ermöglichen die objektorientierte Ablage von Regeln, Methoden, Bildern und Modellen und können mithilfe sogenannter Softwareagenten (IT-Konzept) zur sehr leistungsfähigen Lösung von hochkomplexen Optimierungsproblemen verwendet werden. Als Beispiele wurden die RFCS-Projekte „I2M Steel“, „SoProD“ und „CyberPos“ genannt.

Dass eine gewöhnliche Gießpfanne als cyber-physisches Produktionssystem (CPPS) betrachtet werden kann, erläuterte Dr. Bernd Kleimt anhand der Pfannenverfolgung und Pfanneninstrumentierung. Ziel bei dieser Betrachtung sei es, ein CPPS-System mit Agenten für Modelle zur Onlineprozessführung sowie eine dynamische Behandlungsplanung und Logistik zu entwickeln. Dies soll zukünftig die Auswahl einer optimalen Pfanne für eine bestimmte Schmelze und Stahlsorte vor dem Abstich ermöglichen. Zudem sei damit auch die Prozessführung an die Pfanne anpassbar und der Prozess könne weiter optimiert werden.

Helfen sollen hierbei eine „Smarte Sensorik“ zur Generierung von Informationen z.B. über Feuerfestverschleiß, thermischen Pfannenzustand und Spüleffizienz. Ziel sei eine automatische Pfannenidentifikation und Verfolgung der Schmelzen (online und im Planungssystem). Hierzu werden allerdings energieautarke Sensoren in Kombination mit Speichermedien benötigt, die dauerhaft im Einsatz an der Pfanne sind. Dies alles könne zu einer verbesserten Energie- und Ressourcenschonung sowie zur Kostenoptimierung führen.

Weitere Kurzvorträge in diesem Themenfeld stellten Forschungsideen für die folgenden Bereiche vor:

  • Künstliche Intelligenz zur Störfallerkennung
  • Assistenten zur anlagenübergreifenden Planheitsprädiktion und -steuerung
  • IoT-Netzwerk smarter Sensoren zur ganzheitlichen Erfassung des Anlagenzustands
  • Prädiktion von Stillstandsrisiken und dynamisches Umplanen nach Anlagenstillständen
  • Spektroskopische Klassifizierung und Charakterisierung von Schlacken.

Im Anschluss an die Besichtigung des BFI-Showrooms nutzten die Teilnehmer die Zeit für einen ausführlichen Gedankenaustausch.

Ulrich Ratzek

VDEh-Betriebsforschungsinstitut GmbH, Kontakt: harald.peters@bfi.de

Der komplette Beitrag ist erschienen in der Ausgabe STAHL + TECHNIK 1 (2019) Nr. 6/7, S. 114 ff.